Bildung stärkt die Demokratie. In mehrerer Hinsicht.

Viele Menschen haben wenig Vertrauen in die Politik. Auch Jugendliche. Autoritäre Denkweisen gewinnen an Zuspruch, es gibt mehr Polarisierung, zwischen den Geschlechtern aber auch zwischen Menschen mit unterschiedlichen Bildungsniveaus. Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Die Zukunft der Demokratie entscheidet sich auch in den Schulen. Aber nicht nur, beim informellen Lernen kann die Demokratie gefördert werden. Was wir konkret tun können, zeige ich im Blogbeitrag auf.

Demokratie fördern

Der LCH schreibt in seinem Positionspapier zu politischer Bildung, dass die Demokratie und die Grundrechte von jeder Generation aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden müssen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Politische Bildung, durch die junge Menschen zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern erzogen werden. Politische Bildung vermittelt nicht nur Fachwissen, sondern fördert auch demokratische Kompetenzen, Diskussionskultur und Medienkompetenz mit dem Ziel der Motivierung zur politischen Partizipation. An der PHBern widmen wir uns am Institut für Weiterbildung und Dienstleistungen deshalb während den beiden kommenden Schuljahren dem Leitthema "Bildung und Demokratie".

 

Der LCH fordert in seinem Positionspapier Forderungen, wie politische Bildung gestärkt werden kann. Hier möchte ich insbesondere auf drei Forderungen hinweisen:

 

Demokratische Prozesse erlebbar machen
Demokratie kann erlernt werden, wenn sie auch erlebt wird. Mit Partizipation in der Klasse sowie in und ausserhalb der Schule können Kinder und Jugendliche demokratische Prozesse leben. Dabei sollte es sich um echte, d.h. wirksame Partizipation handeln. Pseudo-
Partizipation wirkt demotivierend und ist am Ende sogar kontraproduktiv. Weitere Möglichkeiten sind Exkursionen zu politischen Institutionen wie Parlament, Gemeinderat oder zu einem Gericht. Das kann auch in der Nähe stattfinden und sehr niederschwellig sein.

Kritisches Denken und Diskussionskultur fördern
Die Schülerinnen und Schüler sollen ermutigt werden, sich kritisch und aktiv mit politischen Themen auseinanderzusetzen. Lehrpersonen können mit den Kindern tagesaktuelle Themen besprechen. So hat z. B. der Klassenlehrer unseres Sohnes mit den Kindern über die Wahlen in Amerika gesprochen und das Wahlsystem erklärt. Woraufhin wir auch am Küchentisch viel mehr darüber redeten und er die News mitschauen wollte. Schülerinnen und Schüler sollen lernen, eigene Positionen zu entwickeln und ihre Meinungen zu äussern. Dies kann durch
Diskussionen, Debatten und Rollenspiele gefördert werden.


Medienkompetenzen stärken
Schülerinnen und Schüler müssen lernen, wie sie Medien nutzen können, um sich über politische Themen zu informieren und sich an politischen Diskussionen zu beteiligen. Dazu gehört auch, Aussagen und Quellen kritisch beurteilen und insbesondere ihre
Plausibilität einschätzen zu können.

 

Diese Kompetenzen können sowohl in der Schule, als auch in der Freizeit gelernt werden, also z. B. bei informellen Lerngelegenheiten in Vereinen. Zum Erleben von Demokratie gehört auch, dass Kinder ihre eigenen und die Bedürfnisse von anderen wahrnehmen und ihr Verhalten reflektieren. Dass sie Perspektiven und Emotionen anderer erkennen und respektieren. Dies können sie auch in der Freizeit lernen, z. B. im Verein. Wer darf mitmachen? Wie wählen wir die Gruppenmitglieder aus? Was ist, wenn ein Kind nicht mithalten kann, wie integrieren wir es? Wie reagieren wir, wenn ein Kind eine andere Meinung hat? All dies gehört zum Leben in einer demokratischen Gesellschaft dazu.

Was steht im LEhrplan 21?

«Politik, Demokratie und Menschenrechte» ist eines von sieben fächerübergreifenden Themen im Lehrplan 21 und läuft unter der Leitidee der nachhaltiger Entwicklung.

 

Die Schülerinnen und Schüler befassen sich gemäss der Beschreibung im Lehrplan 21 mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen, Traditionen und Weltsichten und setzen sich mit politischen Prozessen auseinander. Sie befassen sich mit den Menschenrechten und sind in der Lage, Benachteiligung und Diskriminierungen zu erkennen. Die Schülerinnen und Schüler engagieren sich in der schulischen Gemeinschaft und gestalten diese mit. Sie lernen, sich eine eigene Meinung zu bilden, eigene Anliegen einzubringen und diese begründet zu vertreten. Zudem befassen sie sich mit dem Verhältnis von Macht und Recht, diskutieren grundlegende Werte und Normen und setzen sich mit Konflikten, deren Hintergründe sowie möglichen Lösungen auseinander. Das sind viele Ziele, es gibt jedoch kein Fach "politische Bildung". Bezüge werden zu den Fachbereichslehrplänen Deutsch, Ethik, Religionen, Gemeinschaft, Musik, Natur, Mensch, Gesellschaft (1./2. Zyklus) und Räume, Zeit, Gesellschaft (3. Zyklus) gemacht. Dies ist auch sinnvoll. Politik ist Teil unseres Alltags, fliesst eigentlich überall hinein. Also ist es richtig, dies auch in der Schule so handzuhaben. Statt "trocken" politische Bildung zu erlernen, sollte sie denn auch in der Schule "erlebt" werden.

Was es zu vermeiden gilt: Erlernte Hilflosigkeit

Philippe Wampfler beschreibt in seinem neuen Buch "L'école c'est moi" auch, wie es nicht laufen soll. Er schreibt, dass die Kinder und Jugendlichen mit Bezug auf Demokratie in der Schule oft eines lernen: "Erlernte Hilflosigkeit" und zitiert Marina Weisband: "Die Haupterfahrung, die die Schüler an der Schule verinnerlichen, lautet: Ich kann hier nichts bewirken. Ich kann das System, in dem ich mich acht Stunden am Tag aufhalte, nicht beeinflussen".

 

Wampfler schlägt vor, dem mit dem "Whole School Approach" entgegenzuwirken. Das heisst, dass Schüler:innen die Schule mitgestalten zu lassen. Er geht davon aus, dass Schule gleichzeitig Lern-, Arbeits- und Lebensraum ist. Kinder und Jugendliche lernen, indem sie die Schule gestalten und verändern. Dies erzeugt eine Partizipation, die mehr als nur Schein ist. Sie werden an der Ausarbeitung wesentlicher Konzepte, bei der Formulierung von Regeln für das Miteinander, und der Raum- und Infrastrukturnutzung beteiligt, müssen aber auch Aufgaben übernehmen und Arbeiten leisten. Ihr Lernen besteht darin, Verantwortung zu übernehmen für ihren Aufgabenbereich.

 

Wichtig ist es, Kindern und Jugendlichen zuzuhören, sie ernst zu nehmen, ihnen eine Stimme und Raum für eigene Meinungen und Sichtweisen zu geben. Dabei entstehen gemäss Wampfler "ein Gefühl und eine Haltung, die die Kinder ein Leben lang begleiten werden". Wampfler führt auch zwei interessante Ansätze ein: er findet es fairer, wenn Positionen gelost werden. Wenn sich also die Kinder nicht für den Schülerrat wählen lassen (weil dann die gewählt werden, die laut und beliebt sind) und statt abzustimmen, so lange weiterzudiskutieren, bis man einen Konsens findet.

Weshalb niemand abgehängt werden darf

Die Schule kann aber nicht nur etwas für die demokratische Gesellschaft tun, in dem sie den Kindern demokratisches Handeln beibringt, sondern auch ganz grundsätzlich, in dem sie ihren Bildungsauftrag wahrnimmt.

 

Kürzlich las ich in einem Gastkommentar von Margrit Osterloh in der NZZ, dass junge Männer sowohl bzgl. Ausbildung als auch bzgl. Arbeitsmarktchancen zunehmend ins Hintertreffen geraten. Dies führt zu einer zunehmenden Polarisierung zwischen den Geschlechtern. So berichteten der Tagesanzeiger und weitere Medien anfangs 2024, dass sich junge Frauen politisch eher links verordnen und junge Männer eher rechts. Sehr besorgniserregend ist dabei auch die zunehmende Misogynie. Sexismus und Frauenfeindlichkeit nehmen, je gleichberechtigter Frauen werden. Das Video mit der Aussage eines rechtsextremen Influencers, "Your body, my choice", wurde nach der Wahl von Donald Trump millionenfach geklickt und geteilt. Dem kann die Schule entgegenwirken, in dem sie Lernräume für verschiedene Lernstile schafft. Bewegungsfreudige Kinder ebenso mitnimmt wie Kinder, die still sitzen können. Und in dem Selektion später stattfindet. In der Schweiz wird früh selektioniert, was v.a. für Knaben ein Problem ist, weil sie ihr Potenzial oft später entfalten. Ein grosses, altes Thema. Mehr dazu in einem Bericht der Mercator Stiftung hier.

 

Andreas Reckwitz schreibt in "Die Gesellschaft der Singularitäten", dass die Bildungsexpansion grundsätzlich zu einer Klassenspaltung führt, welche die gesellschaftliche und politische Mitte erodieren lässt. Es bildet sich mehr und mehr eine neue Mittelklasse mit hohem kulturellem und mittlerem bis hohem ökonomischem Kapital aus, die sich v.a. in ihrem Lebensstil von der alten Mittelklasse und der Unterklasse abhebt. Die Lebenswelten trennen sich mehr und mehr, was zu einer immer grösseren politischen Polarisierung führt. Menschen, die sich abgehängt fühlen, wenden sich autokratischen Führungspersönlichkeiten zu. Der Faktor Bildung spielt hir eine entscheidende Rolle, weil formale Bildungsabschlüsse immer wichtiger werden.


Die Schule kann hier nun also einen positiven Einfluss haben, sie muss verbindend wirken. Nicht nur, in dem sie politische Bildung forciert, sondern schlicht auch, indem sie dafür sorgt, dass niemand abgehängt wird.

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