Kinder, Küche, Kirche. Gilt nicht mehr.

Die drei K, an denen sich die Walliser Frau zu orientieren hat: Kinder, Küche, Kirche. Diesen "Witz" machte ein Verfassungsratskollege ständig.

 

Nun las ich im Walliser Boten kürzlich, dass Walliser Paare immer weniger Kinder bekommen. Was sind die Gründe? Ist das problematisch? Und was ist aus den drei K geworden?

Ein paar Zahlen

Gemäss aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik liegt die Geburtenrate in der Schweiz bei 1,33 Kindern pro Frau, im Wallis sind es mit 1,28 noch weniger. Das erinnert mich an Schlagzeilen aus Italien und Südkorea. Zwei sehr konservative Länder, in denen die Geburtenraten ebenfalls drastisch sinkt, weil die Frauen nicht mehr bereit sind, die ihnen zugedachte Rolle wahrzunehmen. Südkorea hat mit 0.7 Kindern pro Frau sogar die tiefste Geburtenrate der Welt. 2.1 Kinder wären nötig, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten.

 

Die Oberwalliser Gemeinden stellen ein interessantes Monitoring der Altersstruktur zur Verfügung. In der Grafik unten ist die Veränderung im Zeitraum von 10 Jahren zu sehen. All die heute 60-jährigen, die bald in Pension gehen und irgendwann gepflegt werden wollen, auf diese folgen nur wenige junge Menschen.

 

 

Nun, man kann das entspannt sehen. Es hat genug Menschen auf der Welt. Im Walliser Boten steht denn auch, dass die Bevölkerung im Wallis dank der Zuwanderung insgesamt wächst. Folglich wird der Fachkräftemangel wohl doch nicht so dramatisch ausfallen. Trotzdem ist die Frage interessant, warum gerade Frauen in konservativen Gegenden weniger Kinder bekommen.

 

Kinder oder Karriere?

Manchmal denke ich, wir sind schlechte Vorbilder. Also die Mütter meiner Generation. Wir sahen es als emanzipatorisch an, Kinder und Karriere zu vereinbaren. Ich bin mit diesem Mindset aufgewachsen: wenn man es nur gut organisiert, ist das Vereinbaren problemlos möglich. Aber so einfach wars dann doch nicht. Organisatorisch ging es ja, aber ich hatte die Rechnung ohne mein schlechtes Gewissen gemacht, ohne die ständigen Fragen aus dem Umfeld, ohne an die Schuljahre zu denken, die alles noch komplizierter machen als zur Kita-Zeit. Kurz vor Weihnachten traf ich unabhängig voneinander zwei Kolleginnen mit Kindern in ähnlichem Alter wie unseren. Beide sagten mir, sie wüssten nicht, ob sie ihren Kinder gute Vorbilder sind. Ständig im Stress. Sie möchten dieses Bild ihren Kindern eigentlich nicht auf den Weg geben. Der Stressfaktor wird auch im Beitrag im Walliser Boten als Grund für die sinkende Geburtenrate beschrieben.

 

Im Rückblick würde ich es wohl tatsächlich etwas entspannter angehen. Ich dachte, wenn ich nicht grad nach dem Mutterschaftsurlaub wieder in die Erwerbsarbeit einsteige, habe ich beruflich verloren. Heute sehe ich Lebensläufe weniger linear. Aber mit Appellen an die Eltern, sich nicht stressen zu lassen, ist es nicht getan. Auch nicht mit dem sich ständig wiederholenden Mantra, Familien könnten ihr Lebensmodell frei wählen. Familie ist in den Augen vieler Politiker:innen privat. Aber das stimmt nicht. (Ausser es ist ihnen egal, wenn die Geburtenrate auch bei uns auf unter 1 sinkt, die Dörfer keine Schulen mehr haben und sie im Alter von Roboter gepflegt werden.) Damit Familien ihr Lebensmodell frei wählen können, braucht es Rahmenbedingungen, die nicht das eine oder andere Modell bevorzugen. Wo angesetzt werden könnte:

  • Bei den hohen Kita-Kosten. Neben dem Wunsch, sich beruflich weiterzuentwickeln, gibt es immer auch eine ökonomische Wahrheit. Wenn die Kita den gesamten Lohn eines Elternteils wegfrisst, überlege ich mir zwei Mal, ob ich das Angebot nutze. Auch wenn dies längerfristig finanzielle Folgen für die Absicherung im Alter hat.
  • Bei den Steuern. Wir haben schmerzlich festgestellt, dass die Progression bei verheirateten Doppelverdienerpaaren im Wallis rasanter steigt, als in anderen Kantonen. Dies ist ganz klar ein negativer Erwerbsanreiz, der korrigiert gehört.
  • In der Schule, bei der langen Mittagspause und den vielen Hausaufgaben. Ich habe bereits einmal einen Beitrag geschrieben, welcher die Hausaufgaben im Wallis und in Bern vergleicht. Hier nur so viel: Eine Viertklässerin hat im Wallis wöchentlich 160 Minuten Hausaufgaben zu erledigen, ein Viertklässler in Bern maximal 45 Minuten.
  • Beim Mindset der Arbeitswelt, die davon ausgeht, dass Arbeitnehmende keine Familie haben, die zeitlich flexiblere Modelle anbieten oder sich bewusst werden könnte, dass die kleinen Kinder älter werden, Arbeitskräfte vielleicht ein paar Jahre Flexibilität benötigen, dann aber wieder voll da sind.

Natürlich, wir haben uns aus freien Stücken für Kinder entschieden. Manchmal tönt es, als wären diese nur Stress. Und das stimmt überhaupt nicht. Ich finde es sehr bereichernd, Kinder zu haben. Ich wünsche mir lediglich, dass die Rahmenbedingungen für Familien besser sind. Dass bei Massnahmen zur Vereinbarkeit nicht immer von der Wirtschaft aus gedacht wird, sondern auch von den Familien.

 

Ich wünsche mir, dass der Staat und die Wirtschaft Familie weniger als Privatsache ansehen, sondern als Teil der Lebensrealität vieler ihrer Bürger:innen und Arbeitnehmenden. Dass Politik Familien in ihr Wirken miteinbezieht. Und zwar zeitgemäss, in dem sie Rahmenbedingungen bietet, bei denen sich junge Paare die Frage nicht stellen müssen: Kinder oder Karriere? Sondern Rahmenbedingungen, in denen beides möglich ist. Vielleicht nicht gleichzeitig, aber möglich.

 

Frauen sind heute nicht mehr bereit, ihr Leben ausschliesslich den drei K, Kinder, Küche, Kirche, zu widmen. In Südkorea nicht, in Italien nicht, im Wallis nicht. Wenn wir die Geburtenrate wieder steigern wollen, wenn wir eine Gesellschaft wollen, in der Kinderlachen allgegenwärtig ist, Dörfer mit Schulen, dann müssen auch die Politik und die Wirtschaft etwas tun.


Foto: pexels.com

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Kommentare: 1
  • #1

    Alice Kalbermatter (Mittwoch, 08 Januar 2025 08:16)

    Ein Beitrag, wo ich voll mitdiskutieren kann :-) Bin quasi Expertin. Unsere 4 Kinder liebe ich über alles und würde dies noch Mal genauso wagen. Und sie haben die "Karriere" eher unterstützt als gebremst. Die anderen beiden K's diskutieren wir ein anderes Mal.
    Ich glaube nicht, dass wirtschaftliche Gründe und Stress die wahren Ursachen sind. Wir leben im Wohlstand und haben so viel Freizeit wie keine Generation vor uns. Mein Eindruck ist eher, dass sich Frauen nicht mehr so wohl fühlen mit dem Kinderkriegen. Bei der Häufung der rechtsnationalen Populisten die an die Macht drängen, verstehe ich jede Frau, die Angst und Bedenken hat. "your body, my choice" -> verrückt, wie sich das entwickelt.