Sie haben gewonnen. Vorläufig.

Die Rechten und die Konservativen.

 

Für die vom Genderwahn der SVP angespornten WB-Redaktoren war ich gefundenes Fressen. In der NZZ sind die am häufigsten angeklickten Artikel jene, die sich an der Cancel-Culture abarbeiten. Da kam es ihnen gerade recht, konnten sie mich seit April 2022 konsequent als links und feministisch bezeichnen. Es passt zum Zeitgeist.

 

Für die Konservativen unter den Gelben war ich zu laut. Sie vergassen dabei, dass sie einfach zu leise waren. Dass meine Stimme wahrgenommen wurde, lag schlicht daran, dass sie nichts sagten.

Nun, ich bin selbstkritisch, reflektiert und zweifelnd genug, als dass ich den Fehler nicht ausschliesslich bei den anderen suche.

 

Dass ich mich auf Twitter in einer sehr feministischen Blase bewege und meine Tweets von aussen als Beiträge der Gelben gelesen werden, dies habe ich viel zu spät begriffen. Natürlich freute ich mich, dass ich in den Medien sichtbarer wurde. Doch ich war mir der Rolle als Partei-Vizepräsidentin viel zu wenig bewusst. Ich twitterte nie für die Partei, immer meine persönliche Meinung. Nur: so wurde es nicht gelesen.

(So wie David Biner nicht für die NZZ twittert. Oder doch? Es ist wohl ein schmaler Grat).

 

Diese Kritik kann ich im Nachhinein gut verstehen und es ist auch eines der Learnings: Dass man in einer Funktion eine Rolle hat und die persönliche Haltung manchmal zurückstellen muss. Oder auf den richtigen Zeitpunkt warten. Man kann auch sagen, dass ich in meiner Funktion versuchte, die Partei nach den verpatzten Nationalratswahlen 2019 zu gestalten. Einen konsequent sozialliberalen, progressiven Kurs zu fahren. Aus der Milieupartei eine Partei mit einer klaren politischen Haltung zu machen. Dabei habe ich es verpasst, die Basis mitzunehmen. Ich wollte zu schnell zu viel oder habe einfach zu wenig hingehört. Immerhin konnte ich zusammen mit dem Vorstand und dem neuen Präsidium einen Grundstein legen und das Sozialliberale ist nun nicht mehr nur Teil des Namens, sondern fester Bestandteil der Politik der Partei.

 

Ich wirke überheblich und moralisierend, wurde mir gesagt. Männer wollten mir nicht glauben und Frauen, die vom Patriarchat profitieren oder denen ich sagte, sie sollten Verantwortung über ihre Finanzen übernehmen und ihre Männer mehr in den Haushalt und die Kinderbetreuung einbinden, mochten mich nicht. Ich sprach aus, was sie nicht hören wollten. Immer theorie- oder datengestützt und ziemlich dezidiert. Was es schwierig macht, mit mir in einen Dialog zu kommen. Auch das kann ich nachvollziehen. Dabei rege ich halt manchmal einfach nur gerne zur Diskussion an, versuche verschiedenen Sichtweisen aus. In Bern die bürgerliche, im Oberwallis die linke, feministische. Es hat etwas Lustvolles, ist ein bisschen wie ein Spiel.

 

Ich kann mich gut an den Kipp-Punkt erinnern: Ein Text im Walliser Boten, den ich im Dezember 2021 im Rahmen einer Serie zum Jahresende schrieb. In dem ich nicht einfach meine Dankbarkeit zum Ausdruck brachte, ein spannendes Amt und eine tolle Familie zu haben, also sein zu dürfen, sondern schrieb, was es noch alles zu tun gibt, bis die Gleichstellung erreicht ist, und warum Frauen sichtbarer sein sollten. Ich sei monothematisch unterwegs, hiess es. Meine Themen: Bildungs- Familien-, Sozial- und Gleichstellungspolitik.

 

Ich redete über das Recht auf Selbstbestimmung als Frau (also auch über das Recht auf Abtreibung), benannte sexuelle Belästigung als solche und zeigte auf, dass wir gerade einen weltweiten Backlash erleben. Es sei mutig, dass ich mich zum Thema sexualisierte Gewalt öffentlich äussere, sagte mir mal jemand. Dass dies Mut braucht, das kann ich kaum glauben. Es sind alles Aspekte, die benannt werden müssen, wenn wir sie ändern wollen. Doch es komme zu früh und gehe zu schnell, sagten sie mir (nicht nur in der Partei, auch bei Apéros an irgendwelchen Anlässen. Ich wurde immer und überall auf diese Themen angesprochen, wurde zur Projektionsfläche für den regionalen Backlash). Es brauche Geduld. Nur: Iris von Roten kam zu früh. Das war in den 1950ern.

 

Also passierte mir, was ich in den Büchern las: ich wurde still gestellt. Unsichtbar. In der Partei und in den Medien. Es fühlte sich an wie in der Primarschule: Immer bei den Klassenbesten, nie in der Hauptrolle im Weihnachtstheater. (Jaja, das innere Kind.) Ich kam in den sehr ungesunden Fight-Modus, wollte nicht aufgeben, «es ihnen zeigen». Ich sagte mir, wenn sie mich wirklich loswerden wollen, sollen sie es sagen. Mir. Ins Gesicht. Nicht hinter vorgehaltener Hand. Was nur zwei Personen taten. Doch von denen, die mir am Anfang meines Amtes Unterstützung zusicherten, waren auch nur noch zwei da. Ich verheizte mich selbst. 

 

Nun denn. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es heutzutage jemanden wie mich verträgt. Ich bin ja eigentlich eine ganz nette, umgängliche Person. Dass ich so anecke, irgendwie ist es auch lustig. In meinem Gutmenschentum habe ich nie verstanden, warum es die Leute so sehr irritiert, wenn jemand links und feministisch ist. Warum man die bösen Wörter (links und feministisch) am besten gar nicht erst benutzt und sich immer grad verteidigen muss, wenn einem dies vorgeworfen wird.* Ich habe nicht erwartet, dass die Leute mitmachen, mit mir auf die Strasse gehen. Aber dass sie mich machen lassen. Das wäre mein Wunsch gewesen.

 

Ich bin mir bewusst, dass ich auch in diesem Text wieder sehr persönlich werde. Es wäre vielleicht gescheiter, meine Zweifel für mich zu behalten. Aber es ist halt auch das, was ich an anderen Politiker:innen schätze. Wenn sie mal mit sich hadern, einen Irrtum zugeben.

 

Warum ich das alles schreibe? Ich will niemanden beschuldigen, mich nicht rechtfertigen. Ich will einfach aufzeigen, dass das Stillstellen von aufmüpfigen Frauen immer noch (oder wieder vermehrt) System hat. Wenn bzw. weil es niemand sagt, ändert sich das nie.

 

Oft wird so getan, als könnten wir Frauen heute alles erreichen, wenn wir nur wollten. Als brauche es den Feminismus nicht mehr. Erfolg und Scheitern seien individuell. (Natürlich, es gibt immer beide Komponenten, eine gesellschaftliche und eine individuelle.) Ich habe jedoch – manchmal subtil, manchmal offen – sehr oft zu spüren bekommen, dass sich mein Engagement für die Rechte der Frauen nicht gehört, dass es vielmehr nervt. Dass ich als berufstätige Mutter doch alles habe, was ich mir nur wünschen könne. Dass ich zufrieden sein sollte, mehr Demut zeigen, häufiger lächeln. Andere Themen bewirtschaften.

 

Menschen, die Ungerechtigkeiten aufzeigen, gewinnen damit keinen Blumentopf (deshalb machen es so wenige). Selbst wenn dies datengestützt passiert. Sie werden nach wie vor klein gehalten, als larmoyant beschrieben und/ oder ihre Anliegen werden als unwichtig erklärt. Jetzt grad haben wir Krieg in Europa, eine Wirtschaftskrise, es gibt andere Probleme. Wie oft wird mir anekdotisch erklärt, dass meine Zahlen (vom BfS oder aus der polizeilichen Kriminalstatistik) nicht stimmen können. Fast 50% der Frauen erleben häusliche oder sexualisierte Gewalt und niemand scheint einen Täter zu kennen. Männer wie Donald Trump, Boris Johnson, Geert Wilders faszinieren. Es ist schrecklich.

 

Susanne Kaiser nennt es das feministische Paradox. Der erneut aufkommende Widerstand (Backlash) ist eine Reaktion auf die zunehmende Gleichberechtigung. Je gleichberechtigter Frauen sind, desto mehr geraten sie unter Druck. Es ist ein fortlaufender Zyklus aus Fortschritt und Rückschritt, ein historisches Pendel, das vor und zurück schwingt. Für die Menschen in meiner feministischen Blase ist das alles nicht verwunderlich, nicht neu. Ich lese viel und habe all dies oft aus der Distanz betrachtet. Dass es mir selbst passieren könnte, dessen wurde ich mir erst nach und nach bewusst. Es kostete mich sehr viel Kraft, nicht zu verzagen. Und am Ende hat sie doch nicht gereicht. Sie haben also gewonnen. Die Rechten und die Konservativen. Und das bedaure ich sehr. Aber es ist ein Pendel. Es wird auch wieder auf die andere Seite ausschlagen und hoffentlich irgendwann in der Mitte ankommen.

 

Aber gut, es geht weiter. Ich hatte gestern einen schönen Abschied von meiner Funktion als Co-Vizepräsidentin. Mit einem langen Applaus, der mich sehr freute. Es fühlt sich auch gut an, neuen Kräften Platz zu machen. Sie machen zu lassen. Irgendwann führe ich mein Engagement auf eine andere Art und Weise fort. Mir wird etwas einfallen. Meine Grossmutter sagte immer: Auf Wiedersehn macht Freude!


*Natürlich weiss ich es nun. Ich habe (unter anderem) Mary Beard, Franziska Schutzbach und bell hooks gelesen. Und ich bin nicht naiv.

 

Bild: pexels.com

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt