Wer soll das bezahlen?

Das ist immer die erste Frage, wenn es um das Einführen von Massnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Zum Beispiel um eine Elternzeit, um Kitaplätze, um die Anerkennung von Care-Arbeit. Wie aktuell bei der Ausarbeitung der neuen Kantonsverfassung.

 

Gegenfrage: Wer bezahlt(e) es bis jetzt? 

Gegenfrage: wer bezahlt(e) es bis jetzt?

Die Frauen, die den Grossteil der 9.2 Mia.Stunden unbezahlte Arbeit pro Jahr leisten. Mit tieferen Löhnen und tieferen Renten.

Dazu eine Grafik, die economie feministe für die Frauensession 2021 erstellt hat: 

Die Grafik zeigt, dass der Anteil unbezahlter Arbeit den Anteil der bezahlten Arbeit übersteigt: Gesamthaft wurden gemäss dem Bericht von economie feministe im Jahr 2016 7.8 Milliarden Stunden bezahlt und 9.2 Milliarden Stunden unbezahlt gearbeitet. Die unbezahlte Arbeit beträgt also mehr als die Hälfte der gesamthaft geleisteten Arbeit in der Schweiz. Mit rund 8.5 Milliarden Stunden pro Jahr macht die Haus- und Familienarbeit den weitaus überwiegenden Anteil aus (92.8 Prozent).

 

Und diese wird vorwiegend von Frauen geleistet. Unser Wirtschafts- und Wohlfahrtssystem funktioniert also nur dank der unbezahlten Arbeit der Frauen. 

 

Zur monetären Bewertung der unbezahlten Arbeit schreibt economie feministe folgendes: "Der monetäre Wert der unbezahlten Arbeit beläuft sich auf 404 Milliarden Franken und ist damit höher als das gesamte Arbeitnehmerentgelt und höher als alle Konsumausgaben der Haushalte in der Schweiz. Frauen leisten über 60 Prozent der unbezahlten Arbeit im Wert von 244 Milliarden Franken im Jahr. Das ist mehr als alle Ausgaben von Bund, Kantonen und Gemeinden zusammen."

 

In diesem Sinne ist die Frage, "wer soll das bezahlen?" blanker Hohn in die Richtung aller Frauen, die unbezahlt arbeiten, dafür rund 20% tiefere Löhne und 37% tiefere Renten erhalten und oft von Altersarmut betroffen sind.

Eine Elternzeit nützt auch der Wirtschaft

Was die Wirtschaftskammer mit ihrer Kritik an der Elternzeit verkennt, ist der Nutzen, den diese mit sich bringt: Elternzeit hat substanziell positive Auswirkungen auf familien-, gleichstellungs- und gesundheitspolitischer Ebenen. Dies zeigen mehrere Berichte der Eidgenössischen Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) auf: Arbeitnehmende, die in ihrer Rolle als Eltern vom Unternehmen unterstützt werden, sind loyaler und motivierter, es gibt weniger Fluktuation. Die Unterneh-men profitieren ausserdem von  grösserer Produktivität, verbesserter Arbeitsmoral und einem höheren Umsatz. Wir reden seit Jahren von einem Mangel an Fachkräften, in verschiedenen Sektoren. Eine Elternzeit erhöht die Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt und wirkt dem entgegen.

 

Und dies führt auch zur Antwort, wer die Elternzeit bezahlen würde: Modellrechnungen ergeben, dass die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen um nur 1 Prozent genügend Steuereinnahmen generiert, um eine zu 100 Prozent entschädigte Elternzeit von 18 bis 20 Wochen zu kompensieren. 

Gemeinsame Lösungen sind gefragt

Statt immer als erstes mit dem Argument der Kosten in den Widerstand zu gehen, wünschte ich mir mehr Offenheit. Denn nicht nur die Familien, auch die Unternehmen profitieren von einer guten Vereinbarkeit.

Es braucht Lösungsbereitschaft, Kreativität und gemeinsame Schritte von uns allen: von uns Individuen, Eltern, der Gesellschaft sowie vom Staat und von den Unternehmen, der sogenannten "Wirtschaft". Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir für "die Wirtschaft", die Arbeitswelt so funktionieren sollten, als hätten wir keine Familien, keine Angehörigen oder Freunde, die wir betreuen und begleiten. Keine eigenen Bedürfnisse. Sondern zuerst die Arbeit, dann: das Vergnügen, die Familie, Selbstfürsorge. Alle Bereiche sind wichtig. Wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen. Deshalb auch in einem anderen Text die Idee für eine neue Zeitpolitik. 

Wie es Kindern geht, geht uns alle etwas an

Enden will ich hier mit einem Plädoyer an die Gesellschaft, das Wohl der Familien und Kinder nicht als Privatsache zu sehen, sondern als wichtiges gesellschaftliches und politisches Thema, das uns alle angeht. Erwachsene mit und ohne Kinder. Ich habe es bei Teresa Bücker gelesen: "Aber in der Freiheit, sich für ein Leben ohne eigene Kinder entscheiden zu können, sollten Erwachsene nicht vergessen, dass Kinder ganz unabhängig von unserem Verwandtschaftsverhältnis zu ihnen genauso zu unserer Gesellschaft gehören wie jede erwachsene Person. Wie es Kindern geht, bei uns und überall auf der Welt, geht uns alle etwas an, wenn wir uns grundsätzlich für die Welt und für Gerechtigkeit interessieren. Kinder sind keine private Lebensentscheidung, Kinder sind Teil unserer Gesellschaft. Ohne das gegenwärtige und das zukünftige Leben von Kindern mitzudenken, erfassen wir nur einen kleinen Teil der Welt. Wie Familien und Sorgegemeinschaften mit Kindern leben und ob sie gleichberechtigt leben können, ist eine wichtige politische Frage."


Der Text erschien in einer kürzeren Version am am 16. Dezember als Leser:innenbrief im Walliser Boten. 

Foto: pexels.com

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt