Sie haben mich in Ihrer gestrigen Kolumne darum gebeten, häusliche Gewalt differenziert einzuordnen.
Hier, bitte sehr.
Warum Gewalt an Frauen ein gesellschaftliches Problem ist.
Gemäss Ihren Erläuterungen reicht es als Erklärungsansatz mehr oder weniger aus, sich auf die Herkunft der Tatpersonen zu konzentrieren. Ja, unter den Tatpersonen – und auch unter den Opfern – sind Personen mit Migrationshintergrund überproportional vertreten. Doch das Problem ist komplexer, als dass es mit der immer gleichen Leier über Ausländerinnen und Ausländer gelöst werden könnte. Wieso um alles in der Welt sollte häusliche Gewalt denn ausgerechnet über die Feiertage um Weihnachten / Neujahr verstärkt auftreten, wie Sie schreiben? Sind dann mehr Ausländer zugegen als das Jahr hindurch? Oder könnte dies nicht auch an beengten Familienverhältnissen liegen? Am Aufeinanderprallen von Erwartungen, an zu viel Alkohol und an fehlenden Stressbewältigungskompetenzen der betroffenen Personen? Nun, wo ich Ihnen zustimme: gesellschaftliche und kulturelle Aspekte wie starre Rollenbilder und stereotypen Werte können das Risiko häuslicher Gewalt erhöhen. Diese können unter Menschen mit Migrationshintergrund verbreiteter sein und hier gilt es eine Haltung der Nulltoleranz an den Tag zu legen. Dies gelingt aber nur, wenn häusliche Gewalt nicht als Privatsache abgetan wird, sondern als gesellschaftliches Problem anerkannt und in der Öffentlichkeit sowie Politik thematisiert wird. Wenn wir hinschauen und nicht schweigen.
Faktoren, die häusliche Gewalt beeinflussen
Nun, ich ordne das Thema gerne noch etwas differenzierter ein. Zur Erklärung hier eine Grafik vom eidgenössischen Büro für Gleichstellung, die aufzeigt, welche Faktoren auf welchen Ebenen häusliche Gewalt wahrscheinlicher machen:
Ein nicht unwesentlicher Punkt sind Gewalterfahrungen aus der eigenen Kindheit. Wenn Kinder elterliche Gewalt miterleben, wird diese oft als normales Konfliktverhalten wahrgenommen. Eltern sind für ihre Kinder immer Vorbilder. Manchmal eben auch Schlechte. Dies gilt auch für einen autoritären Erziehungsstil. Dann gibt es Lebensphasen mit einem erhöhten Risiko für Gewalt. Dies kann eine Schwangerschaft oder Geburt sein, der Verlust der Arbeitsstelle, eine Krankheit, Trennung, oder ganz aktuell, veränderte Lebensumstände durch eine Pandemie. Lebensphasen, die Veränderungen von Nähe und Distanz auslösen, neue Abhängigkeiten, Isolation und Ängste. Auch Belastungen, wie geringes Familieneinkommen, prekäre Arbeits- und Wohnbedingungen und Armutsbetroffenheit können das Risiko von häuslicher Gewalt erhöhen. Von prekären Lebenssituationen sind Menschen mit Migrationshintergrund denn auch mehr betroffen. Ebenso kennen sie Unterstützungsangebote weniger. Also könnte auch dies der Grund für mehr Gewaltbetroffenheit sein und nicht die Herkunft. Und hier könnten Lösungen ansetzen.
Formen von häuslicher Gewalt
Häusliche Gewalt, oder Partnerschaftsgewalt, besteht denn auch nicht nur aus Mord und Totschlag oder körperlicher Gewalt. Auch sexuelle Gewalt ist ein grosses Thema. Und wir alle wissen, dass sexuelle Nötigung und Vergewaltigung in der Ehe viel zu lange nicht als Straftat galt. Auch die weiteren Gewaltformen sind sehr belastend. Da geht es um soziale Gewalt (Isolation, enge Kontrolle der Beziehungen zu Familie und Freunden), ökonomische Gewalt (Arbeitsverbot, Zwang zur Arbeit, Beschlagnahmung des Lohnes) und emotionale Gewalt (Drohung, Stalking, Demütigung etc.).
Wer sich dem komplexen Thema, der Schwierigkeit aus einer gewalttätigen Beziehung herauszukommen und dem Punkt, dass Tatpersonen eben nicht einfach nur gewalttätige und böse Menschen sind, sondern oft eine eigene Geschichte haben, näher widmen will, dem empfehle ich die Netflix-Serie Maid. Harte, aber gute Kost.
Und, seien wir uns bewusst, in sehr vielen Fällen von häuslicher Gewalt sind Kinder mitbetroffen. Selbst wenn sich die Gewalt nicht direkt gegen sie richtet. Sie sind Zeuginnen und Zeugen. Es ist eine Form von psychischer Gewalt an Kindern. Sie fühlen sich schuldig, übernehmen zu viel Verantwortung, haben Loyalitätskonflikte.
Es braucht Verhaltens- und Verhältnisprävention
In der Prävention sprechen wir von Verhaltens- und Verhältnisprävention. Es geht um den Aufbau und das Stärken von Schutzfaktoren. Darunter gehört der Umgang mit Stress und Emotionsregulation. Dazu gehören Täterprävention und angemessene Möglichkeiten zu deren Bestrafung. Dazu gehört, prekäre Lebenssituationen möglichst zu vermeiden, Frauenhäuser und Opferberatungsstellen mit ausreichend Ressourcen auszustatten und den Zugang niederschwellig zu gestalten. Und dazu gehört, das Thema zu enttabuisieren, nicht als Privatsache zu erklären und totzuschweigen, sondern dessen gesellschaftliche Relevanz anzuerkennen.
Die Sotomo-Studie zu Gewalt in Paarbeziehungen zeigte auf: «drei Viertel der politisch eher rechts positionierten Personen finden, dass das, was zu Hause passiert, privat ist.» auch bei anderen Aspekten bzgl. Partnerschaftsgewalt und sexueller Gewalt, finde ich die Einschätzungen von politisch rechts positionierten Personen mehr als fragwürdig. Das ist denn auch ein Grund, weshalb ich es wirklich nicht verstehen kann, wenn Frauen rechts politisieren. Aber nun ja, das ist meine persönliche Meinung und deren persönliche Entscheidung.
Und zurück zum Ausgangsthema: Das Phänomen ist vielschichtig. Und so sind auch die Antworten und Lösungsansätze nicht einfach. Das Problem auf eine einzige Frage zu beschränken, das kann man machen, wenn man wie Ihre Partei monothematisch unterwegs ist und eine politische Agenda verfolgt. Besser wird die Gesellschaft dadurch nicht.
P.S. noch ein paar Worte zum Thema Wolf. Ich kann die Wut und die Verzweiflung der Schäferinnen und Schäfer nachvollziehen. Auch die Ohnmachtsgefühle gegenüber Bundesbern (ich denke, dass hier das Hauptproblem verborgen liegt: beim Gefühl, nichts ausrichten zu können, mit den eigenen Sorgen nicht ernst genommen zu werden). Meines Erachtens sollte der Wolf proaktiv reguliert werden, wie andere Wildtiere auch. Trotzdem, ich mag nicht über jedes gerissene Schaf auf der Front vom WB lesen. Das hat nichts mit meiner Meinung für oder gegen den Wolf zu tun. Sondern mit Agendasetting. Und ich finde es schon spannend, dass man im Wallis entweder Politik zum Thema Wolf machen oder Wolf heissen muss, um politisch Karriere zu machen ;).
P.P.S. dass sich die CSPO sowohl dem Thema häusliche Gewalt annimmt wie auch einstimmig für ein Wallis ohne Grossraubtiere eintritt, zeugt davon, dass wir uns eben mehreren Themen widmen können. Da gibt es noch weitere: Bildung und Familie, Energie, Wirtschaft, Tourismus. Immer mit einem lösungsorientierten, pragmatischen, liberalsozialen Ansatz.
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