Love is love. Punkt.

Als ich auf Twitter las, dass das Referendum für die "Ehe für alle" zu Stande kam, war ich erst mal – sagen wir – ratlos. Warum, fragte ich mich, muss die sexuelle Orientierung und Identität meiner Mitmenschen wieder zu einer öffentlichen Debatte werden? Wie ist es für sie, wenn lauter heterosexuelle Menschen darüber debattieren, ob sie nun heiraten dürfen oder nicht? Ob sie gute Eltern sein können oder nicht? Wird es ein gehässiger Abstimmungskampf? Oder ein klares Votum für eine tolerante, offene, vielfältige Schweiz? Wir werden sehen. Die Sommerferien gehen bald zu Ende, der Abstimmungssonntag kommt näher. Die Debatten stehen also an. 

 

Dazu habe ich mir ein paar Gedanken gemacht, die ich gerne im Vorfeld teile. 

Vorweg. Ich sage Ja zur Ehe für alle. Ganz einfach, weil ich faire Chancen für alle will. Also gleiche Rechte und Möglichkeiten. Ich werde hier nicht die Argumente für ein Ja präsentieren. Diese können beim Komitee Ehe für alle oder beim katholischen Frauenbund nachgelesen werden. Ich will beschreiben, was mir so durch den Kopf geht, wenn ich an diese Abstimmung denke. Es sind v.a. zwei Aspekte.

Ich finde die Abstimmung anmassend und richtungsweisend zugleich.

Was mich am meisten zum Nachdenken bringt ist die Tatsache, dass es schlussendlich heterosexuelle Menschen sind, die über die Rechte der Menschen in der LGBTIQ-Community* debattieren und entscheiden. Weil: wir sind in der Mehrheit. Aber haben wir tatsächlich auch die Deutungshoheit? Ist es nicht einfach unglaublich anmassend, dass wir bestimmen wollen, ob Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung oder Identität als der unseren heiraten dürfen oder nicht. Wir können uns nicht mal in deren Lage versetzen. Wir wissen nicht, wie es ist, als queere Person in einer heteronormativen Welt zu leben. Wie können wir sagen, ihr dürft die gleichen Rechte haben wie wir – oder eben nicht? Wie können wir sagen, ihr könnt ja eure Partnerschaft eintragen lassen, nun lasst es doch mal gut sein. Was gibt uns das Recht zu entscheiden, wann andere Menschen zufrieden sein sollen? Das geht einfach nicht in meinen Kopf. 

 

Und ich habe mir ehrlich gesagt länger überlegt, ob ich mich in die Debatt einbringen will. Denn in dem ich das tue, masse ich mir ja auch ein Urteil an. Ich habe mich dazu mit lesbischen Bekannten und Freundinnen ausgetauscht, die mich ermutigt haben. Die sagen, es brauche immer heterosexuelle Menschen, die sich für die Rechte der LGBTIQ-Community einsetzen. Also tue ich es. Etwas vorsichtig bei den Formulierungen, weil ich nicht verletzen will. Sollte es dennoch passieren bin ich froh um eine Rückmeldung. 

 

Ich fürchte mich ehrlich gesagt auch etwas vor dem Wahlkampf. Dass er gehässig wird, wertend, eben verletzend. Dass wieder die reaktionären Stimmen die lauten Stimmen sein werden. Da möchte ich sachlich und anständig dagegen halten und ich hoffe, dass dies viele andere Unterstützende ebenso tun werden. Vielleicht irre ich mich auch. Wir werden sehen wie der Ton wird. Darum steht im Titel auch richtungsweisend. Kommt es gut, werden die Kampagnen und die Abstimmung zu einem klaren Bekenntnis für eine offene Schweiz. Ein Zeichen, dass queere Menschen bei uns im Oberwallis und in der Schweiz willkommen sind und alle die gleichen Rechte haben sollen. Das wünsche ich mir. 

Warum das Gegenargument mit dem Kindeswohl nicht funktioniert.

Der katholische Frauenbund sagt: "Das Kindswohl steht für uns im Zentrum und ist dann in Gefahr, wenn Kindsbeziehungen zu ihren tatsächlichen, primären Bezugspersonen nicht rechtlich abgesichert sind." Das Referendumskomitee argumentiert hingegen damit, dass Kindern von lesbischen Paaren vorsätzlich der Vater vorenthalten wird. Gleichzeitig finden sie es aber auch nicht gut, wenn ein Kind zwei Väter und keine Mutter hat. Dieses Bild entspricht dem Ideal der bürgerlichen Kernfamilie in einer heteronormativen Welt. Viele Mitglieder des Referendumskomitees waren auch gegen den Vaterschaftsurlaub, sind gegen einen Gesetzesartikel zur gewaltfreien Erziehung. Natürlich heisst das nicht, dass alle Menschen die mit dem Kindswohl argumentieren dies auch so sehen und dieses nur als Scheinargument nutzen, um ihre Weltanschauung zu verteidigen. Ich habe die Debatten verfolgt und es gibt Nationalrät:innen, die gegen die Ehe für alle sind, aber für eine gewaltfreie Erziehung. Man/frau sollte hier also nicht vorschnell pauschalisieren. (Ja, das sage ich auch zu mir selbst, ich bin in diesem Punkt zu polemischen Aussagen versucht.)

 

Doch wie gesagt, das Bild der bürgerlichen Kernfamilie ist ein Ideal. Es kam mit Rousseau (der ja interessanterweise seine Familie verliess, um seinen philosophischen Gedanken nachzugehen), Pestalozzi und co. auf und wurde in der 50er Jahren mit dem wirtschaftlichen Aufschwung für immer mehr Familien möglich. Doch Familie war schon immer vielfältig, immer im Wandel. Es gibt Einelternfamilien (bestehend aus Vater oder Mutter mit Kind(ern)), Kleinfamilien, Patchworkfamilien, Mehrgenerationenfamilien (wo die Kinder z. B. mit Mutter und Grossmutter aufwachsen). Natürlich ist es schön, wenn Kinder verschiedene Bezugspersonen haben und verschiedene Menschen in ihrem Umfeld. Frauen, Männer, queere Menschen. Doch nicht immer sind die Umstände gegeben. 

 

Kinder brauchen Eltern, die ihre Grundbedürfnisse nach Bindung, Annahme und Vertrauen erfüllen können. Eltern, die verlässlich und präsent sind. Das kann in einer Einelternfamilie gelingen, in Familien mit heterosexuellen Eltern, in Regenbogenfamilien und in jeder anderen Familienform. Und genau so gut gelingt es in all diesen Familienformen auch nicht immer. In der Schweiz erlebt jedes 4. Kind regelmässig psychische Gewalt in der Erziehung, jedes 20. Kind (also im Schnitt eines pro Klasse) erlebt regelmässig körperliche Gewalt.

Das Wohl der Kinder ist also ein wichtiger Punkt. Dieses aber von der sexuellen Orientierung oder Identität der Eltern abhängig machen zu wollen finde ich verkürzt und ehrlich gesagt, auch wieder anmassend. Wie sollten wir die Eignung auf Elternschaft an der sexuellen Orientierung oder Identität einer Person festmachen können? Wo doch auch heterosexuelle Menschen nicht per se gute oder anwesende Eltern sind. Wenn wir uns für das Kindswohl einsetzen wollen können wir dies auf vielfältige Art und Weise tun. Im Einsatz für ein gesetzliche Verankerung des Rechts auf eine gewaltfreie Erziehung z.B., in der Arbeit gegen Familienarmut, im Einsatz für eine bessere Anerkennung von Care-Arbeit oder für flexiblere Arbeitszeiten. In dem wir Familien generell unterstützen und nicht, in dem wir einzelne Familienformen rechtlich ins Abseits rücken. 

Warum ich mich engagiere

Die Ehe für alle ist für mich eine Herzensangelegenheit. Ich habe eingangs geschrieben, weil es dabei um faire Chancen für alle geht. Auch, weil ich eine vielfältige, offene Welt für eine lebenswerte Welt halte. Ich war unsicher, ob ich mich engagieren soll. Ich agiere als Privatperson. Doch als Vizepräsidentin der CSPO stehe ich auch in der Öffentlichkeit und wir haben die Parole noch nicht gefasst. Deshalb habe ich mich vorgängig mit meiner Partei abgesprochen. Gesagt, dass ich mich schon jetzt engagieren möchte. Bei uns haben unterschiedliche Ansichten Platz und somit auch mein Engagement, das ich aus voller christlich-sozialer Überzeugung wahrnehme. Die Diskussion ist eröffnet.


Begriffe:

LGBTIQ ist die Abkürzung aus den englischen Begriffen Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersexual, Queer.

Queere Menschen sind Menschen, die der Norm der Heterosexualität und des Zweigeschlechtersystems «in die Quere kommen»

 

Foto: unsplash.com

Danica Zurbriggen Lehner

3920 Zermatt