Väter sind für ihre Kinder wichtige Bindungspersonen, genau so wie Mütter. Allerdings auf unterschiedliche Art und Weise. Sie regen vor allem das Erkundungsverhalten der Kinder an, deren körperliche Entwicklung und das Selbstvertrauen.
Bindung und Feinfühligkeit sind zentrale Begriffe in der Entwickungspsychologie. Ich erkläre unten, was sie bedeuten und welchen (unterschiedlichen) Beitrag die Mütter und die Väter leisten.
Bindung und Feinfühligkeit: zwei zentrale Begriffe
Bindung ist die engste Beziehung zwischen zwei Menschen. Eine innige, emotionale Bindungserfahrung entsteht, wenn das Kind mit Personen, die ihm nahestehen, gute Erfahrungen macht. D.h. wenn seine Bedürfnisse befriedigt werden, es mit ihnen zusammen sein kann und sie sich ihm zuwenden. Dies braucht das Kind, um sich sozial und emotional gesund zu entwickeln. (Die Bindungstheorie stammt ursprünglich von John Bowlby).
Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Feinfühligkeit (Mary Ainsworth). Sie ist Voraussetzung sowie Kern der Eltern-Kind-Bindung. Feinfühligkeit bedeutet,
- dass die Bindungsperson die kindlichen Signale wahrnimmt,
- ihnen gegenüber aufmerksam und offen ist, die Signale des Kindes richtig deutet
- sie prompt und angemessen beantwortet.
(Das bedeutet nicht, dem trotzenden Kind jeden Wunsch zu erfüllen und es damit zu verwöhnen. Sondern vielmehr, das Bedürfnis hinter seinem Verhalten wahrzunehmen und entsprechend darauf zu reagieren.)
Mutter und Vater: beide sind wichtig, auf unterschiedliche Art und Weise.
Die Annahme, dass kleine Kinder nur eine innige emotionale Beziehung zu einer Person aufbauen können und dass dies in den meisten Fällen die Mutter ist, ist tief verwurzelt. Aus der Bindungsforschung stehen uns heute jedoch neue und vielfach bestätigte Erkenntnisse zur Verfügung. So gelten Väter heute als wichtige Bindungspersonen für die kindliche Entwicklung. Gerade auch deshalb, weil sie sich in ihrer Feinfühligkeit von den Müttern unterscheiden.
So ist die väterliche Feinfühligkeit durch eine bestimmte Spezifik gekennzeichnet, die Karin Grossmann als «Spielfeinfühligkeit» bezeichnet. Vater und Mutter haben zwar ein ähnlich intuitives Handlungswissen. Aber Väter gehen ab Geburt mit ihrem Kind anders um. Während Mütter einen engeren Körperkontakt haben, emotional beschützender sind und eher die innere Gefühlswelt des Kindes regulieren, zeigen Väter durchschnittlich weit stärkere Neigungen, ihr Kind im physischen Tun stark anzuregen und seine Fähigkeiten wie auch sein Selbstvertrauen stark herauszufordern. Während mütterliche Feinfühligkeit somit für die emotionale Zuwendung und das Mitgefühl sehr wichtig ist, gilt Gleiches für Väter in Bezug auf die körperliche und psychische Entwicklung inkl. das Selbstvertrauen. Dementsprechend spielt die väterliche Feinfühligkeit für das Erkundungsverhalten des Kindes eine wichtige Rolle, vergleichbar mit der Mutter in Bezug auf das Bindungsverhalten.
Fazit
Aus der Bindungsforschung stehen heute neue und vielfach bestätigte Erkenntnisse zur Verfügung, welche die Exklusivität der Mutterrolle relativieren. Bindungen zum Vater oder zu anderen Bezugspersonen sind nicht nur möglich, sondern erwünscht und tragen zu einer guten Entwicklung des Kindes bei. Das ist mit ein Grund, weshalb ich mich dafür stark mache, dass sich Väter und Mütter gleichermassen um Betreuung und Erziehung ihrer Kinder kümmern (können). Damit dies gleichberechtigt möglich ist, gibt es noch viel zu tun.
Wer weiterlesen mag:
Die Inhalte dieses Beitrags stammen aus dem Dossier "Bildung braucht Bindung" von Margrit Stamm.
(Foto: unsplash.com)