"You can get it if you really want". So dachte ich damals, anfang 30, mit abgeschlossenem Studium, einem guten Job, frisch verheiratet. Drei Jahre später sah die Welt dann anders aus. Denn so einfach ist es nicht, das Vereinbaren von Familie und Beruf.
Die grossen Fragen, die sich mir seither stellen:
Wie kann ich mich echt für meine Familie engagieren, für sie da sein und mich gleichzeitig auch beruflich weiterentwickeln? Meine Ausbildung nutzen und à jour bleiben? Kann ich alles haben, wenn ich nur wirklich will? Reicht es aus, ambitioniert zu sein und gross zu träumen? Nein. Noch nicht.
Also, was gibt es noch zu tun?
Eins vorweg: Es braucht mehr qualitativ hochstehende und bezahlbare Angebote für die familienergänzende Kinderbetreuung: Kitas, Tagesschulangebote, Tagesfamilien. Doch das allein reicht nicht aus. Und wir wollen als Familie die Kinderbetreuung nicht komplett "outsourcen". Wir wollen Zeit mit unseren Kindern verbringen, im Alltag für sie da sein, ihnen bei den Hausaufgaben helfen und sie nach unseren Werten erziehen. Deshalb muss auch andernorts angesetzt werden.
Wir müssen...
1) unsere Haltung ändern:
Dies gilt für unsere Vorgesetzten genau so wie für uns: "Familie steht an erster Stelle". Wir sollten bewusst über unsere Kinder und den Wunsch an ihrem Leben teilzuhaben reden. Engagement für die Familie soll auch in der Arbeitswelt wertgeschätzt werden. Es soll kein Problem sein, wenn der Stellvertreter eine Sitzung leitet, damit die Geschäftsleiterin zu einem Elterngespräch gehen kann. Es muss ok sein, wenn ein Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeitet, wenn sein Kind krank ist. Oder wo dies nicht möglich ist, soll bei der Arbeit nach einem Ersatz gesucht werden können ohne dass mit den Augen gerollt wird und versteckte Anspielungen gemacht werden.
Die so genannte Care-Arbeit, also Betreuungs- Pflege- und Hausarbeit für Kinder und Pflegebedürftige muss gesellschaftlich besser anerkannt werden. Und zwar egal ob sie von Frauen oder von Männern ausgeführt wird.
2) die Arbeitsbedingungen flexibler gestalten:
Angesetzt werden kann dazu bei den Arbeitszeiten oder der Arbeitsorganisation (was eine positive Haltung natürlich voraussetzt):
- Lange Arbeitszeiten sind oft unvermeidlich. Es gibt Spitzen, an denen mehr Arbeit anfällt, dann wieder weniger (fast so wie beim Intervalltraining ;-)). Hier plädiere ich für Jahresarbeitszeit.
- Ebenso gibt es Betriebe mit Schichtarbeit oder im Gastgewerbe wird dann gearbeitet, wenn Kundschaft da ist. Flexiblere Möglichkeiten wären hier Kurzschichten oder Job-Sharing. Wichtig für Beschäftigte mit Familienpflichten ist, die Einsatzzeiten möglichst im Voraus zu kennen und sie im Bedarfsfall mit Kolleginnen oder Kollegen abtauschen zu dürfen.
- In Bürojobs kann Heimarbeit eine Lösung sein. Klar, es ist von Vorteil, auch oft im Büro zu sein. Persönliche Besprechungen können effizienter sein als das Hin und Her von E-Mails, spontane Gespräche erzeugen oft gute Ideen und dauerhafte Beziehungen. Dennoch, ausgestattet mit VPN-Verbindungen, E-Mail, Telefonen und Skype for Business sollten wir in der Lage sein, einen Teil der Arbeit ausserhalb des Büros zu erledigen. (Ein Nachtrag aus aktuellem Anlass: die Corona-Pandemie hat hier viel bewirkt.)
Übrigens sollten Eltern meiner Ansicht nach nicht gegenüber anderen Arbeitnehmenden bevorzugt werden. Die Möglichkeiten sollten auch Mitarbeitenden offen stehen, die sich um eine kranke Partnerin oder einen pflegebedürftigen Elternteil kümmern müssen. Auch Mitarbeitende die keine Kinder haben, haben familiäre Verpflichtungen.
3) den beruflichen Lebenslauf als nicht linear anerkennen
"Man kann alles haben, aber nicht zur gleichen Zeit." Das sagt Anne-Marie Slaughter. Deshalb: Wenn jemand eine Arbeitsstelle für die Familie aufgibt, für einige Jahre in einem reduzierten Pensum arbeitet oder aus familiären Gründen von seinem herkömmlichen beruflichen Weg abrückt, soll dies nicht als Lücke im Lebenslauf gewertet werden. Der Zugang zu beruflicher Weiterbildung sollte auch für Teilzeitarbeitende gewährleistet sein und ein Teilzeitpensum aufgrund von Care-Arbeit sollte bei einem neuen Job nicht zu einer tieferen Lohneinstufung führen.
Und: Es gilt nicht zu vergessen, dass die Zeit, in der Frauen und Männer sehr stark in die Kinderbetreuung eingespannt sind, in aller Regel begrenzt ist. Sind die Kinder in der Schule oder "aus dem Haus" bleibt in aller Regel viel Zeit für die berufliche Weiterentwicklung. Die Phase, in der die Eltern durch die Kinderbetreuung stark absorbiert und beruflich evtl. eingeschränkt leistungsfähig sind, ist nach einigen Jahren vorbei. Das muss ich mir selber immer wieder sagen, weil ich hier gar nicht mutig bin und mir beruflich keine Lücken erlaube. Das sollten sich aber auch Arbeitgebende zu Herzen nehmen, wenn ihre Mitarbeitenden Eltern werden oder wenn sie Stellen besetzen und Bewerbungen von jungen Müttern und Vätern erhalten. Denn Arbeitnehmende, denen während der Familienzeit entgegengekommen wird, sind oft sehr loyal.
Übrigens: die nächste Frauenbewegung ist eine Männerbewegung.
Die Suche nach einem ausgeglicheneren Leben ist übrigens kein Frauenproblem - ein Gleichgewicht wäre für uns alle besser. Bronnie Ware arbeitete jahrelang in der Palliativmedizin und schrieb ein Buch mit dem Titel: "Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bedauern". An erster Stelle kommt: "Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, ein Leben zu führen, das mir selbst treu ist, nicht das Leben, das andere von mir erwarteten". An zweiter Stelle folgt: "Ich wünschte, ich hätte nicht so hart gearbeitet." Alle Männer, die sie gepflegt hat, haben dies gesagt.
Das Thema Gleichstellung betrifft also auch die Männer: Wie viele Männer können Teilzeit arbeiten, wenn sie eine Familie gründen – oder wagen überhaupt, danach zu fragen? Wie viele profitieren von einem Vaterschaftsurlaub? Und dürfen Väter im Betrieb fehlen, wenn die Kinder krank sind – oder wenn die betagten Eltern regelmässig Hilfe brauchen?
Die Rollenbilder scheinen nach wie vor in Stein gemeisselt. Es gibt noch viel zu tun. Und wie sage ich immer? "Packen wir es an".
Die Antworten habe ich von Anne-Marie Slaughter. Anne-Marie Slaughter gehörte jahrelang zu den Frauen, die Kinder und beruflichen Erfolg spielend zu bewältigen schienen. Dann entschied sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere (sie leitete den Planungsstab im US-Aussenministerium unter Hillary Clinton) zurück an ihren alten Arbeitsplatz zu kehren, weil ihre Familie sie brauchte. Dies verarbeitete sie im viel beachteten Artikel: "Why whoman still can't have it all." Mit ihrem Buch 'Was noch zu tun ist' nimmt sie Vorurteile und Halbwahrheiten unter die Lupe, die Frauen (und Männer) immer noch ausbremsen, stellt konkrete Forderungen und Lösungsschritte vor, erzählt aus ihrem Leben und zeichnet das Bild einer neuen feministischen Bewegung. Ich kann das Buch nur empfehlen und leih's auch gerne aus.
(Foto: unsplash.com)